Wir leben in einer reizvollen Welt. Egal, zu welcher Jahreszeit man draußen in der Natur unterwegs ist, es ist einfach herrlich und herrlich entspannend, den Jahreslauf zu beobachten und zu spüren, wie wir alle Teil dieses Lebens sind, dass wir Mutter Erde, Schöpfung oder Natur nennen. Jeder unserer Sinne wird angesprochen. Der Atem fließt. Ein Lächeln legt sich auf unser Gesicht. Ja, unsere Welt ist reizvoll und wunderschön.
Aber unsere Welt ist auch voller Reize. Jeden Tag strömen sie auf uns ein: Werbung, Radio, Fernsehen, Nachrichten und Gespräche, Ansprüche und Herausforderungen, Menschen und die Technik. Es vergeht keine Sekunde, ohne das ein neuer Reiz gesetzt wird. Permanent werden wir angesprochen, angewählt, angestupst und mit Kurznachrichten versorgt. Geräusche, Gerüche, Farben und Gefühle. Alles prasselt auf uns ein, dringt und drängt uns in die Sinne, juckt uns, fordert uns, will uns und unsere Aufmerksamkeit. Ob wir es wollen oder nicht, wir leben in einer Welt voller Reize und wir haben die liebe Not, zu reagieren.
Aber reagieren wir auch so, wie wir wollen? Oder reagieren eigentlich nicht wir, sondern unser Gehirn reagiert in uns und für uns? Unsere Denkmaschine ist ganz scharf auf neue Informationen. Unser Gehirn findet Informationen so reizvoll wie Energie (Zucker!) und so verführerisch wie Drogen. Man hat unlängst festgestellt, dass im Gehirn dieselben Areale angesprochen werden, ob wir nun Zucker essen, Drogen konsumieren oder eine WhatsApp-Nachricht auf unserem Smartphone oder bei Facebook eintrifft. Das Gehirn ist wie süchtig nach Neuigkeiten!
Doch was als bewusste Neugier daherkommt, ist in Wirklichkeit nur ein Autopilot. Wir reagieren auf die Reize, wie unser Gehirn es für gut und richtig hält. Meistens nimmt es dabei keine Rücksicht auf unsere Werte und Vorstellungen von dem, was wir für ein gutes und sinnvolles Leben halten. Wir reagieren eben einfach, aber wir agieren nicht mehr.
Es ist wie bei einem Flugzeug, das einmal gestartet die Erde umrundet. Es fliegt per Autopilot. Durch die Sensoren kommen weitere Informationen zum Bordcomputer und dieser macht, dass das Flugzeug dem Gewitter ausweicht, in dichten Wolken den Weg findet und über dem Gebirge die Höhe anpasst. Es wirkt, als ob das alles bewusst und überlegt stattfindet, aber im konkreten Moment ist es alles nur der Autopilot, der sein Programm abspult. Und solange das Flugzeug auch nur die Erde umrunden muss, ist das auch alles, was nötig und wichtig ist. Aber das Leben ist bunter. Vielleicht würde das Flugzeug gerne einmal zwischenlanden, langsamer fliegen, eine besondere Sehenswürdigkeit genauer betrachten, mit den Vögeln gleiten oder sonst etwas tun, was es wichtig findet. Das alles geht jedoch nicht, denn der Autopilot ist stark und diktiert den Weg.
Gar nicht so sehr anders ist es auch bei uns Menschen inmitten dieser reizvollen Welt. Wenn wir nicht auf Autopilot, sondern nach unseren eigenen Werten leben wollen, müssen wir den Bordcomputer ausschalten oder ihn zumindest immer mal wieder unterbrechen oder überbrücken, besonders an den wichtigen Stellen.
Aber wie kann das gehen?
Hier kann die Lehre von der Achtsamkeit ihre ganze Kraft ausspielen.
Achtsamkeit sorgt dafür, dass wir den Autopiloten abstellen und nach unseren eigenen Regeln leben und unsere eigenen Werte ausdrücken. Wir wollen schließlich leben und nicht nur gelebt werden!
Für viele Menschen ist das kein Problem.
Für viele andere aber schon. Stresserkrankungen nehmen zu. Und Anti-Stress-Übungen auch. Der Markt für Entspannung boomt: Kurse, Yoga, Meditation, Outdoor, Malbücher für Erwachsene.
Und viele möchten sich mit einem Leben, das aus Reiz und Reaktion besteht, nicht mehr zufrieden geben. Sie wollen selbst leben, bewusst, am Herzen der Natur, im Einklang mit sich selbst und dem Leben um sie herum.
Aber wie?
Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl (1905-1997) hat einmal gesagt:Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum hat der Mensch die Freiheit und die Fähigkeit, seine Reaktion zu wählen. In diesen Entscheidungen liegen unser Wachstum und unser Glück.
Lassen Sie uns diesen Raum zwischen Reiz und Reaktion entdecken.
Mit Achtsamkeit!
Wenn ein Reiz uns trifft, sorgt die Achtsamkeit dafür, dass wir sprichwörtlich die Zeit anhalten und überlegen können, wie wir reagieren möchten. Achtsamkeit schaltet den Autopiloten ab und lässt uns wieder selbst das Steuer in die Hand nehmen.
Zunächst einmal geht es darum, nicht zu bewerten. Achtsamkeit bedeutet, die Dinge, das Leben, den Alltag, jeden Reiz so stehen zu lassen, wie er ist. Alles und jeden, egal ob Mensch oder Maschine, das Wetter, Geräusche oder Gerüche, Temperaturen oder Atmosphäre. Alles, was uns begegnet nehmen wir mit unseren Sinnen wahr, registrieren dann, was wir wahrnehmen und lassen es so sein, wie wir es wahrnehmen.
In unserem Kopf entstehen dabei unwillkürlich Sätze wie:
Da ist ein Auto. Ein Mann geht über die Straße. Ein Kind weint. Ich höre die Straßenbahn kommen. Draußen ist es kalt. Ich fühle Freude in mir aufsteigen.
Es sind nur einige Worte, kurze Sätze, die beschreiben, was wir gerade mit unseren Sinnen wahrnehmen. Jeder Reiz wird auf- und angenommen, aber keiner dieser Reize wird bewertet. Wir sagen also nicht: „Da ist ein Auto, das ist aber laut.“ Und auch nicht: „Ein geht über die Straße, der sieht aber alt aus.“
Probieren Sie es aus!
Zu Anfang kommt man sich da ganz schön komisch vor. Es ist nicht leicht, die Bewertungen abzustellen. Und wahrscheinlich kommen auch schnell Fragen wie diese auf: „Darf ich jetzt gar keine Meinung mehr haben?“
Doch, das dürfen Sie!
Aber lassen Sie sich doch bitte auf diesen Versuch ein. Vertrauen Sie diesem Entwicklungsprozess. Bewerten Sie für einige Tage nichts, so gut Sie das können. Und schauen Sie, was das mit Ihnen macht, was sich verändert und verschiebt. Glauben Sie mir, manches wird wieder an die gesunde Stelle verrückt.
Und wenn Sie dann doch mal etwas bewerten, nehmen Sie natürlich auch das nur zur Kenntnis, ohne es zu bewerten. Sie brauchen Sie nicht mehr über sich zu ärgern und Sie müssen sich auch keine Sorgen mehr machen. Es ist so, wie es ist. Und so, wie es ist, ist es in Ordnung!
Zumindest ist es erst einmal so in Ordnung, wie es gerade ist. Es geht bei der Achtsamkeit nicht darum, alles einfach nur hinzunehmen. Das klingt auch viel zu traurig. Außerdem würde es nicht unseren Werten entsprechen. Wie kann man es einfach hinnehmen, wenn ein anderer Mensch übervorteilt wird? Wie kann man hinnehmen, dass gelogen wird? Da wollen und müssen wir reagieren, da können wir nicht anders, als es zu bewerten und dagegen aufzustehen. Da müssen wir einstehen für das, was uns wichtig und wertvoll ist.
Nein, Achtsamkeit heißt nicht, den Alltag mit allem, was wir erleben, einfach zu schlucken. Nicht zu bewerten gibt aber den Menschen und Dingen, den Reizen um uns herum, ihren eigenen Wert zurück. Und das zu entdecken ist hochspannend. Wir Menschen bewerten meistens negativ. Unsere Bewertung ist meistens eine Entwertung. Wenn wir aber aufhören zu bewerten, haben Dinge um uns herum wieder die Chance ihren eigenen Wert zu zeigen, im Guten wie im Schlechten, im Wertvollen, wie im Wertlosen. Erst durch das Fehlen unserer Bewertung entdecken wir das neu und kräftig, weil unser eigenes, individuelles Wertesystem nicht schon automatisch „drübergebügelt“ ist.
Erinnern Sie sich noch?
Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum hat der Mensch die Freiheit und die Fähigkeit, seine Reaktion zu wählen. In diesen Entscheidungen liegen unser Wachstum und unser Glück.
Wenn Sie die Achtsamkeit üben, werden Sie mit der Zeit feststellen, wie tatsächlich die Welt um Sie herum bunter und intensiver wird. Sie werden feststellen, dass Ihr Hang zur Bewertungen, der Autopilot, Ihre Sinne verschlossen hat. Ohne Autopilot bekommen Menschen und Dinge schärfere Konturen, plötzlich treten Gesichter aus der Masse heraus. Und Achtung: es könnte auch Ihr eigenes Gesicht sein, dass Sie nun wieder besser sehen. Ihre Gefühle nehmen Sie stärker wahr und entdecken Worte für jede Lage. Sie bekommen wieder ein Gespür für sich und Ihre Bedürfnisse. Der Geschmack, das Hören, Ihr Denken geht besser. Wenn Sie sich selbst gut sehen, dann sehen Sie auch Ihre Umwelt besser und jetzt haben Sie die Chance sich in Ruhe zu fragen, was Sie eigentlich selbst wollen. Was ist Ihnen wichtig und wertvoll? Wie möchten Sie reagieren? Mit Achtsamkeit können Sie das, ganz bewusst und aus Ihren Werten heraus.
Sie werden gelassener und ruhen mehr in sich selbst. Stress baut sich ab.
Aber das ist ein Prozess. Das geht nicht von heute auf morgen. Lassen Sie sich Zeit und bleiben Sie geduldig mit sich selbst. Es ist ein sinnvoller, spannender Weg, den Sie mit Achtsamkeit beginnen.